Fortuna Canta

Musik im ausgehenden Mittelalter

 

Francesco Landini oder Guillaume de Machaut sind nur die bekanntesten Vertreter jener Kunstmusik, die uns in ihrer subtilen Kraft, Vielfarbigkeit und Komplexität eine faszinierende Welt von lyrischem Feinsinn und musikalischer Finesse eröffnet.
Weit entfernt vom Gregorianischen Choral oder der Spielmannsmusik entfaltet sich in den italienisch- oder französisch- dominierten Macht- und Kulturzentren die sogenannte Trecento– bzw. Ars Nova– Musik.
Reizvoll für heutige Ohren wieder zu entdecken ist das zu jener Zeit gültige pythagoräische Stimmungssystem, ebenso wie die komplexe Rhythmik und das schnelle, diminuierte Spiel, das so virtuos ist, dass neue Notationsformen dafür entwickelt werden mussten.
Fortuna Canta widmet sich dieser erlesenen Musik und gibt mit stilistischem Feingefühl Einblick in die verschiedenen Strömungen dieser Epoche. Auf authentischen Instrumenten erklingen vertonte Erzählungen, die in der Symbolik ihrer Zeit verschlüsselt sind. Nicht selten spielt in diesen Texten die blinde Schicksalsgöttin Fortuna eine zentrale Rolle.
Im deutschen Konzertwesen gilt Fortuna Canta als eines der führenden Ensembles für diese spezielle Musik.
Die vier Ensemblemitglieder erhielten ihre musikalische Ausbildung bei Spezialisten für Alte Musik. Ihr besonderes Interesse für das Mittelalter führte sie 1997 zusammen. Wichtige Impulse erhielten sie auf diesem Gebiet u.a. von Pedro Memelsdorff, Maurice van Lieshout, Rebecca Stewart, Michael Posch und Randall Cook.

Besetzung:

Stefanie Brijoux: Sopran
Katrin Krauß: Blockflöte
Holger Faust-Peters: Fidel, Organetto (Renaissancegambe)
Ute Faust, Fidel und Blockflöte (Renaissancegambe)

Programme

Fortune obscure – Die Schicksalsballaden des Codex Chantilly

„Alle Klarheit ist mir verdunkelt, alle Schönheit scheint mir hässlich und alle Freude stimmt mich traurig.“ So beginnt der Text einer der zahlreichen ballades, in denen die blinde Schicksalsgöttin Fortuna ihr Rad allzu oft so verhängnisvoll nach unten dreht, dass dem machtlosen Erdenmenschen nichts bleibt als die bittere Anklage. In Allegorien und fiktiven Welten erzählen Dichter und Musiker vom Denken und Fühlen der gebildeten Hofmenschen des späten 14. Jahrhunderts und schaffen mit der Ars subtilior eine mehrstimmige Kunstmusik, die an Komplexität und Raffinesse ihresgleichen sucht.

J’ay pris amour – Burgundische Chansons

Die musikgeschichtliche Bedeutung Burgunds liegt haupsächlich in seiner Hofkapelle begründet. Gegründet 1384 waren in ihr bis zu 28 Musiker angestellt; damit war sie sogar größer als die Hofkapelle des Königs von Frankreich oder des Papstes in Avignon. Fast alle Komponisten dieses Programmes waren Mitglieder der Kapelle und standen dementsprechend in engen Kontakt miteinander. Die Aufgaben der Sänger in der Kapelle waren der Gesang in den täglichen Messen und Stundengebeten, besondere mehrstimmige Musik an besonderen Hochfesten und die Gestaltung der zahlreichen Feste, vor allem letztere gemeinsam mit den Instrumentalisten.

musicam hab ich allzeit lieb gehabt

Martin Luther, Theologe und Übersetzer der Heiligen Schrift, war auch als Dichter, Komponist und Sänger bekannt. Seine Musik und die seiner Anhänger soll in diesem Konzertprogramm Gehör finden. Dabei beschränken wir uns nicht auf die geistlichen Choräle, sondern beziehen Lieder aus allen Lebensbereichen ein, die den Menschen der Renaissance- Zeit eindrücklich beschreiben. Darum stehen protestantische Lieder neben zünftigen Trinkliedern, Jahreszeitenlieder, die von der Not im Winter berichten, neben zarten Liebesliedern.

O felix templum jubila – eine Messe um 1400

Hier widmet sich Fortuna Canta der geistlichen Musik des späten Mittelalters. In einer Zeit, in der der Glaube ein alltäglicher Bestandteil des Lebens ist und die Kirche einen beträchtlichen Machtfaktor in der Gesellschaft innehat, verwundert es nicht, wenn die „Avantgarde-Komponisten“ der Zeit wie Matteo da Perugia, Johannes Ciconia oder Paolo da Firenze neben weltlicher auch geistliche Musik schreiben. Sie lassen aber auch hier die Tradition des gregorianischen Chorals weit hinter sich und adaptieren ihren neuen weltlichen Musikstil ohne weiteres auf die geistliche Musik. So kann ein Credo genauso subtil klingen wie eine weltliche Ballata und der Reiz der Mehrstimmigkeit erfüllt von da an auch die Kirchenräume des aufstrebenden Italien.
Mit diesem Programm stellt Fortuna Canta ausgewählte Messteile aus der Hand verschiedener vorwiegend italienischer Komponisten vor. Ergänzt durch instrumentale Teile und einige geistliche Werke außerhalb der Messvertonung entsteht ein kontemplatives Gesamtwerk von etwa einer Stunde Dauer.

Che cosa è quest’amor – Liebe in einem Kaleidoskop weltlicher Musik an italienischen und französischen Fürstenhöfen.
In diesem Programm erklingen neben den wichtigsten Komponisten des 14. Jahrhunderts auch einige selten gespielte Werke. Das Programm führt durch die italienische Trecentomusik mit Balladen und Madrigalen von Francesco Landini, Paolo da Firenze, Matteo da Perusio u.a. Es zeigt auch in eindrucksvoller Weise, wie die Musiker dieser Zeit durch immer raffinierteres Verzieren vorgegebener Melodien ganz neue und hoch virtuose Stücke entstehen ließen. So werden aus dem berühmten Codex Faenza Diminutionen von Jacopo da Bologna gespielt, ebenso aber auch eigene Diminutionen des Ensembles. Demgegenüber stehen Werke der „Ars subtilior“, einem Stil aus Frankreich, bei dem die rhythmische Komplexität heutige Ohren überrascht. Oftmals mit verschiedenen Taktarten in jeder Stimme und extrem verschobenen Bezügen zwischen den Stimmen entsteht hier eine ungeheure Spannung, die im rhythmischen Bereich erst wieder im 20. Jahrhundert erreicht wird. Neben Guillaume de Machaut und Solage stehen in diesem Stil auch einige anonyme Komponisten aus dem Codex Chantilly auf dem Programm. Mit einigen Stücken von Guillaume Dufay werden die letzten im Gestus noch mittelalterlichen Stücke zu Gehör gebracht; erste Floskeln, die die niederländische Schule der frühen Renaissancemusik vorbereiten, werden hier erkennbar.

Elissa, fahre fort
Lesung aus Boccaccios Decamerone und Musik aus dem Florenz des 14. Jahrhunderts

Norditalien um 1350. Die Pest verwüstet das Land, das niedere Volk wird durch Verschwendungssucht und Fehden von den herrschenden Häusern geplündert, das Schisma (Kirchenteilung) der römisch-katholischen Kirche beraubt die Menschen ihrer kulturellen und geistigen Wurzeln. Der „Herbst des Mittelalters“ (Huizinga) ist gekommen, und gleichzeitig erwachen durch Dichter wie Petrarca und Boccaccio die ersten blassen Farben der „Neuzeit“, der Renaissance.
In dieses Spannungsfeld begibt sich Fortuna Canta gemeinsam mit dem Rezitator Heiko Daniels. Dieser liest Geschichten aus Boccaccios Hauptwerk „Il Decamerone“ in einer deutschen Übersetzung; die Musik kommentiert und ergänzt diese Geschichten mit Werken, die im unmittelbaren Umfeld Boccaccios entstanden sind. Es erklingt Musik von Francesco Landini,Bartolino da Padova, Lorenzo da Firenze und anderen. Hier wird die Poesie nicht nur musikalisch, sondern auch in der Originalsprache erfahrbar.
Musik: Francesco Landini, Paolo da Firenze, Jacopo da Bologna, Bartolino da Padova u.a.